Im Wartezimmer

Im Wartezimmer sitzen mehrere Pärchen in freudiger Erwartung. Da sind Bäuche in verschiedensten Grössen. Einige sind fast noch nicht sichtbar, andere schon kugelrund. In aufgeregter und unbeschwerter Atmosphäre sitzen sie da und warten, dass sie für den nächsten Ultraschall-Termin aufgerufen werden. Die einen können es nicht abwarten endlich das Geschlecht ihres Babys herauszufinden. Die anderen freuen sich riesig auf das erste Ultraschallbild.  Sie lächeln sich gegenseitig an und stellen sich Fragen wie „In welcher Woche bist du?“ oder „Ist das dein erstes Kind?“.

Versteckt in der Ecke sitzt eine Frau gemeinsam mit ihrem Partner. Sie spürt keine Vorfreude. Ihre Hände sind kalt und feucht. Ihr Körper angespannt. Als sie das letzte Mal hier waren, haben sie erfahren, dass ihr Baby im Bauch verstorben ist. Sie kann den Anblick der anderen Schwangeren kaum ertragen. Rutscht nervös auf ihrem Stuhl hin und her und fleht innerlich, dass diesmal mit ihrem Baby alles in Ordnung ist. Dass es noch bei ihr ist und sie das Herzchen schlagen sehen darf. Ihr Gefühlschaos ist immens. Ihre Angst kaum auszuhalten.

Sie möchte nicht angelächelt oder gefragt werden, ob das ihre erste Schwangerschaft ist. Eine unschuldige Frage, die doch immer wieder so weh tut. Wie soll man die in diesem mit Unbeschwertheit gefüllten Raum auch beantworten? Das eigene Kind verleugnen zum Wohle der anderen oder ehrlich sein und die Stimmung kippen lassen? Dabei würde sie sich doch so gerne einfach nur freuen. Genau wie die Schwangeren mit ihr im Wartezimmer.

Endlich wird sie aufgerufen. Sie soll zum Wiegen und Blutdruckmessen. Die Arzthelferin verfällt in fröhliches Geplapper. Die Akte hat sie nicht gelesen. „Ist das ihre erste Schwangeschaft?“ Nein, die zweite. „Wie schön, wie alt ist denn ihr Kind?“ Wir haben es verloren! Bedrückte Stille…. und die so fest zurückgehaltenen Tränen fangen an zu kullern. Der Puls rast und der Blutdruck ist wie bei jedem Termin wieder viel zu hoch.

Begleitet von einem mitleidigen Blick der Arzthelferin wird sie ins Untersuchungszimmer geschoben. Stummes Warten. Banges Warten. Bis die Ärztin endlich reinkommt. Der Gang zur Ultraschallliege kostet so viel Mut. Eine gefühlte Ewigkeit bis die Ärztin endlich den erlösenden Herzschlag findet. Jedes Zögern, jedes Schweigen der Ärztin lassen das Herz schneller schlagen. Unendliche Erleichterung, Tränen der Freude, als die Ärztin sagt, dass alles in Ordnung ist. Für einen Moment ist sie wie die Schwangeren da draussen. Für einen Moment ist da nur Freude. Hier, jetzt in diesem Moment, ist alles okay und ihr Baby lebt.

Sie weiss aber genau, dass dieses Gefühl nur von kurzer Dauer sein wird. Dass die Sorgen nachher wieder zurück kehren werden. Sie hat gelernt, dass es keine Garantie auf ein gesundes Kind gibt. So werden die vier Wochen Warten auf den nächsten Termin wieder zur Geduldsprobe. Wenn sie Glück hat, ist ihre Ärztin verständnisvoll und lässt sie öfter zur Kontrolle kommen. Wenn sie Pech hat, hat die Ärztin kein Verständnis.

Traurige Realität

Leider ist die oben dargestellte Situation keine Ausnahme. Man geht davon aus, dass in der Schweiz jede vierte Schwangerschaft in einem Verlust endet. Diese Mama ist kein Einzelfall. Viele Schwangere da draussen erleben das Gleiche: eine Folgeschwangerschaft nach Verlust ist ein extrem schwieriger Weg. Leider ist das ein Thema, dem kaum Beachtung geschenkt wird. Es gibt kaum Literatur, Tips oder Tricks wie man die Ängste aushalten kann. Viele betroffene Mamas beklagen fehlendes Verständnis von ihren Ärzten und Unwissenheit beim Pflegepersonal. Dabei bräuchte es so wenig.

Hier sind sechs Tips für medizinisches Fachpersonal zur Begleitung von Folgeschwangerschaften:

  1. Anerkennen der Angst

Eine Folgeschwangerschaft nach Verlust kann von grosser Unsicherheit und Angst begleitet sein. Das ist okay. Daran ist nichts falsch. Der Mama muss nicht gesagt werden, dass diesmal doch alles gut geht. Dass das Schicksal sicher nicht zweimal zuschlagen wird (Das kann es nämlich!). Oder, dass das Baby im Bauch den Stress der Angst nicht spüren sollte. Das hilft alles nicht. Wer  einmal erlebt hat, wie fragil so ein kleines Leben ist und wie NICHT selbstverständlich es ist, ein gesundes Baby mit nach Hause zu nehmen, der braucht vor allem Verständnis. Der braucht jemanden, der anerkennt, dass diese Angst okay ist und einfach nur zuhört. Gegen die Angst können wir nicht viel tun, aber wir können einfach da sein und mit aushalten, was auch immer da an Emotionen hochkommt.

 

  1. Wartezeiten vor Terminen

Es ist okay, wenn es zu Verzögerungen und Wartezeiten bei Terminen kommt. Für eine Mama schwanger nach Verlust kann das aber zur Tortur werden. Fragt die Mama, ob sie sich wohlfühlt. Informiert sie über die Wartezeit. Wenn es für sie zu schwer wird, schickt sie spazieren oder einen Kaffee trinken. Wenn sie es mit den anderen Schwangeren nicht aushält, schaut, ob sie in einen Nebenraum sitzen möchte. Schaut nach ihr. Sie wird sich verstanden und nur halb so verloren fühlen.

 

  1. Vermeiden von Triggerfragen

Die Frage, ob das die erste Schwangerschaft oder das erste Kind ist, kann viele schmerzhafte Emotionen auslösen. Oftmals erleben die Betroffenen einen Gedankensturm von „Sag ich es oder sag ich es nicht?“, „Kann mein Gegenüber die Wahrheit ertragen?“, „Kann ich die Wahrheit gerade ertragen?“. Eine so simple und unschuldige Frage kann den Schmerz des Verlustes voll zum Vorschein bringen. Vielleicht kann ein sichtbarer bzw. „warnender“ Kleber auf der Akte dem Pflegepersonal helfen zu erkennen, ob eine Schwangere schon Verlusterfahrungen gemacht hat. So können auch Praxisassistenten/innen und Hebammen sensibilisiert werden und auslösende Fragen vermieden werden.

 

  1. Kürzere Abstände zwischen Ultraschallterminen

Auch wenn eine Folgeschwangerschaft nach Verlust völlig normal und gesund verläuft, ist es KEINE normale Schwangerschaft für die betroffene Mama. Die normalen vierwöchigen Abstände zwischen Ultraschallterminen sind für viele Betroffene zu lang und schwer auszuhalten. Sprecht mit der Mama darüber und vereinbart kürzere Abstände, wenn es der Mama hilft. Es kann auch helfen zwischendrin einen Hebammenbesuch zu organisieren. Vermittelt der Mama die Sicherheit, dass sie IMMER kommen oder anrufen kann, wenn die Angst mit ihr durchgeht.

 

  1. Zusätzliche Beleghebammen-Betreuung

Es gibt viele speziell ausgebildete oder erfahrene Beleghebammen und Doulas, die Frauen in der Folgeschwangerschaft nach Verlust liebevoll und empathisch betreuen können. Viele wissen nur leider von dieser Möglichkeit nicht. Dabei kann die Schwangere eine treue Begleiterin und Ansprechpartnerin gewinnen, die ihre Geschichte kennt und den Weg gemeinsam mit ihr geht. Sie kann Zwischenkontrollen übernehmen, in Notfällen erreichbar sein und sogar die Geburt begleiten.
Es ist wichtig, dass Schwangere über die Option informiert und aufgeklärt werden und ihnen jemand bei der Vermittlung hilft.

 

  1. Verständnis, Verständnis, Verständnis

Und noch etwas mehr Verständnis.

Verständnis Folgeschwangerschaft

Dieser Artikel entstand aus meiner ganz eigenen Erfahrung und den Geschichten, die ihren Weg zu mir gefunden haben. Es soll ein erster Schritt sein in Richtung Aufklärung und er soll zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Feedback und Input sind herzlich willkommen.

 

Begleitung in der Folgeschwangerschaft durch die Mamas von Himmelskind.

Meditation bei Ängsten in der Folgeschwangerschaft.

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